Homeoffice – Das, was für einige wenige vor knapp zwei Jahren vielleicht noch ein Luxus war, ein Freiheitsgefühl, ein Lifestyle, wurde für andere ab Frühjahr 2020 zur Pflicht, zur Belastung, zur Krankheit. Und seitdem wir uns nun durch die Bank mit dem Thema Homeoffice sowie seinen Vor- und Nachteilen beschäftigen müssen, kursieren auch unzählige Ratgeber und Studien durch das World Wide Web, die vermeintliche Vorteile feiern und vor den typischen Nachteilen warnen.

Wir haben uns die gängigsten Vorteile, die im Netz kursieren, herausgesucht und einem Realitätscheck unterzogen. Denn eines ist klar: in der Arbeitswelt gibt es keine Einheitsschiene. Jede Situation ist anders und individuell zu bewerten, wenn es um Homeoffice geht.

WAS VERSTEHT MAN UNTER HOMEOFFICE?

Ob ein eigener Schreibtisch im Arbeitszimmer, der Küchentisch oder eine Ecke im Wohnzimmer: Unter Homeoffice verstehen die meisten erst einmal den physischen Ort eines Büros in den eigenen vier Wänden. Es kann aber auch ein Organisationsansatz sein, bei dem die flexible Arbeit im Vordergrund steht. Letzteres wird auch synonym mit Telearbeit oder Heimarbeit verwendet. Unter der Arbeitsweise im Homeoffice versteht man generell, dass ein*e Arbeitnehmer*in gelegentlich oder mehrmals die Woche von zu Hause aus arbeitet. Das heißt er oder sie haben alles, was sie für die Arbeit brauchen zu Hause und erledigen Aufgaben in einem fest vorgeschriebenen oder zeitlich flexiblen Rahmen.

Die Bedingungen richten sich je nachdem, wie es mit dem Arbeitgeber abgesprochen oder sogar vertraglich geregelt ist. Das ist ein wichtiger Punkt, den Arbeitgeber nicht unterschätzen sollten. Denn es ist selbstverständlich ein Unterschied, ob jemand Vollzeit von zu Hause, bzw. Remote (ortsunabhängig) arbeitet, nur hin und wieder nach eigener Zeiteinteilung im Homeoffice ist oder feste Tage hat, an denen im Hybrid-Modell zwischen Homeoffice und Büro gewechselt wird. Wenn genau geregelt ist, wie Homeoffice im eigenen Unternehmen verstanden wird, können sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf die für sich beste Lösung einigen und wahre Vorteile daraus ziehen.

Wenn man aber unvorbereitet ins Homeoffice geschickt wird, wie es so vielen von uns im Frühjahr 2020 passiert ist, und Abläufe nicht abgesprochen sind, können sich vermeintliche Vorteile schnell zum Gegenteil wandeln. Die Arbeitswelt befindet sich in einem dermaßen schnellen Wandel, dass wir Definition und Umsetzung von neuen Arbeitsmodellen derzeit als Möglichkeit sehen sollten und die Chance ergreifen, den Arbeitsmarkt sowie Arbeitsbedingungen nachhaltig und zukunftsorientiert zu verbessern.

7 TYPISCHE „VORTEILE“ VON HOMEOFFICE UND DIE REALITÄT DAHINTER

Homeoffice mit Kindern

1. FAMILIE UND ARBEIT LASSEN SICH BESSER VEREINBAREN…

Eltern, liebe Eltern! Was habt ihr nicht alles geleistet in den vergangenen Monaten…Viele berichten Rückblickend tatsächlich von den Vorteilen, die sie aus der Pandemie gezogen haben. Da gibt es die Eltern mit Neugeborenem, die sich über ihre Baby-Bubble wirklich gefreut haben. Einfach zu Hause bleiben und dem Nachwuchs in dieser magischen Zeit die volle Aufmerksamkeit schenken. Klingt romantisch. So sollte es sein! Konnte sich aber nicht jeder leisten. Die Realität der meisten sah eher so aus: Tagsüber Kinder zwischen Meetings und E-Mails bespaßen, und dann die bittere Nachtschicht übernehmen. Endlich Ruhe, endlich konzentriert arbeiten. Dass das auf Dauer nicht gesund ist, muss man nicht erwähnen. Das Schlafpensum sinkt, die Nerven liegen blank.

Für Eltern mit Kleinkindern oder Teenagern war Homeoffice turbulent, unkoordiniert und anstrengend. Selbstverständlich ist es schön mit den Kindern Mittag zu essen, ihnen zwischen Telefonaten und Online-Meetings auch mal ein Buch vorzulesen und sie abends behütet ins Bett zu bringen. Wer das mit seiner Arbeit im Homeoffice von Anfang an verbinden konnte, stand ganz klar im Vorteil. Wer das Modell Homeoffice bisher aber nicht kannte und demnach völlig ins kalte Wasser geworfen wurde, kam schnell ins Rudern.

Das Problem ist die Doppelbelastung. Dadurch, dass im Kampf gegen Corona auch noch die Kinderbetreuung wegfiel, fanden sich Eltern und Kinder in einer Ausnahmesituation wieder. Kinder, besonders Kleinkinder und Babys, brauchen Aufmerksamkeit. Ständig. Oder zumindest gefühlt alle 5 Minuten. Homeschooling entpuppte sich auch als Be- und nicht als geplante Entlastung für Eltern. Und oft ist nicht einmal der Raum da, um einfach mal die Türe hinter sich zu schließen, um in Ruhe arbeiten oder lernen zu können. Die romantische Idee von Vereinbarkeit von Familie und Arbeit im Homeoffice, die im Netz kursiert, betrifft also in diesem Szenario die wenigsten.

…UND VÄTER HABEN ENDLICH MEHR VON IHREN KINDERN

Auch die Aufteilung zwischen Müttern und Vätern lief in der Pandemie ungleich ab. Feminist*innen sprechen von einem Rückschritt. Die Pandemie als Katapult. Gleichberechtigung und Frauenrechte wurden zurück in die 50er Jahre geschossen. Studien zeigen: Frauen bringen deutlich mehr Zeit für Haushalt und Familie auf, wenn sie im Homeoffice arbeiten. Bei Männern ist es generell so, dass sie Überstunden machen, sich aber nicht mehr um die Kinder kümmern als sonst. Die heiße Debatte rund um das Homeoffice und die Vorteile für Familien, ist also berechtigt und wichtig. Wir befinden uns in einem Wandel der Arbeitswelt. Unternehmen müssen sich umstrukturieren und Arbeitnehmer*innen flexibel sein, damit ein Homeoffice-Familien-Modell in Zukunft wirklich Sinn macht.

2. IM HOMEOFFICE ERNÄHRT MAN SICH GESÜNDER. DIE EIGENE KÜCHE IST JA NICHT WEIT

Ja, genau. Keinen Kantinenfraß mehr, nicht mehr schnell zum Bäcker gehen. Jeden Tag der frische Salat, mit Liebe und Instagramm-tauglich zubereitet. Außerdem viel Obst und Rohkost als Snack zwischendurch. So kursieren die Stockfotos und Bilder der Social-Media-Influencer im Netz und machen der Realität ein schlechtes Gewissen. Die sieht bei vielen nämlich eher so aus, wie die klassische Couchpotato. Sprich: In der Jogginghose die Pizza reinziehen und nebenher ein paar E-Mails beantworten. Kochen? Keine Zeit. Die Packung Chips tut es heute auch zum Mittagessen. Wo sind eigentlich die Gummibärchen? Mein Hirn braucht gerade ganz schnell Zucker…und der wievielte Kaffee ist das jetzt? Egal, ausruhen kann ich mich ja später dann. Vorausgesetzt, das Kind macht gerade seinen Mittagsschlaf.

Gesunde Ernährung im Homeoffice ist ein wichtiges Thema und erste Studien zeigen, wie gesund oder ungesund die Deutschen sich im Homeoffice ernähren. Erfreulich ist das Ergebnis einer Studie des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin, in der Lebensstil und Ernährung in Corona-Zeiten erforscht wurde. Dieser Studie zufolge gaben 14 Prozent der Befragten an, sich seit der Pandemie im Homeoffice gesünder zu ernähren als vorher und 30 Prozent kochen häufiger selbst. Ob dazu das Parken der Tiefkühlpizza im Ofen zählt, kann man der Studie aber nicht entnehmen.

3. FLEXIBLE ARBEITSZEITEN FÜHREN ZU EINER BESSEREN WORK-LIFE-BALANCE

Stimmt. Wenn man unter Work-Life-Balance versteht, dass man zwischen den Büroaufgaben seine Wäsche machen kann oder mal kurz zum Supermarkt springt, dann schon. Wer mit Flexibilität nicht umgehen kann und diese eher in Prokrastination umwandelt, kommt im Homeoffice nicht weit. 32 Prozent der Deutschen arbeiten seit der Pandemie vermehrt oder ausschließlich im Homeoffice. Und an den fließenden Übergang von Bett zu Bürotisch mussten sich die meisten erst einmal gewöhnen. Auch daran, dass die Spülmaschine und der Wäscheberg warten muss. Den Haushalt im Homeoffice auszublenden ist für viele eine echte Herausforderung.

Hand aufs Herz: Im ersten Lockdown haben wir doch alle plötzlich einen Putzfimmel bekommen und wurden zu selbsternannten Innenarchitekt*innen der Superlative. Bis nicht auch die letzte Schublade sortiert war, stand Work nicht ganz mit Life in Balance. Die Versuchung, Dinge aufzuschieben ist zu Hause einfach viel höher. Und wirklich viel mehr Freizeit für Entspannung oder Sport hat man am Ende des Tages dann eben auch nicht. Denn die Arbeit blieb ja liegen, weil man das Bad geputzt hat. Ein strikter und individuell angepasster Plan für das Homeoffice ist demnach wirklich ratsam, um die wahren Vorteile von Homeoffice und Work-Life-Balance auszukosten.

4. RUHE UND KONZENTRIERTES ARBEITEN FÜHREN ZU MEHR PRODUKTIVITÄT

Konzentriertes Arbeiten im HomeofficeAbsolut. Jeder, der vor der Pandemie in einem Großraumbüro gearbeitet hat oder es mit Kolleg*innen zu tun hatte, die gerne laut telefonieren, kann das bestätigen. Viele Aufgaben lassen sich in ruhiger und heimischer Umgebung besser umsetzen. Nur diese ruhige und heimische Umgebung ist in der Realität nicht immer im Homeoffice anzutreffen. Nicht wenn der Küchentisch zum Bürotisch umfunktioniert wird oder sogar das Sofa herhalten muss. Nicht wenn die Baustelle nebenan einfach nicht fertig wird. Und selbstverständlich nicht, da können vor allem die lieben Eltern wieder mitreden, wenn man kleine Kinder hat, die nicht betreut werden. Eltern werden bei diesem „Vorteil“ nämlich leider komplett ausgeblendet. Von Ruhe und Konzentration kann nur jemand sprechen, der keine Kinder hat, oder diese voll betreut werden.

Ein zukunftsorientiertes Homeoffice-Modell kann demnach nur dann wirkliche Vorteile bringen, wenn die Rahmenbedingungen und der ruhige Ort zu Hause geschaffen werden. Die Verantwortung dafür sollte dabei nicht nur auf den Schultern der Arbeitnehmer*innen liegen. Wer eine Homeoffice Stelle anbietet, muss dafür auch passende Gegebenheiten schaffen.

5. MAN MUSS SICH NICHT MIT NERVIGEN KOLLEGEN HERUMSCHLAGEN

Auch das zielt ein bisschen auf Punkt 4 ab. Klar, viele Kollegen im selben Raum oder auch nur wenige aber umso nervigere Kolleg*innen (nichts für ungut) können den Arbeits-Flow stören. Wer aber ungewollt Telearbeit leisten muss und plötzlich gar keinen Austausch mehr mit Kolleg*innen hat, der vermisst nach einer Weile sicherlich auch mal die „netten“ Office-Partner und ihre Marotten und Sperenzchen. Teamarbeit im Homeoffice ist eine Herausforderung. Für den Zusammenhalt der Kolleg*innen sind virtuelle Treffen sinnvoll. So kann man sich zumindest über den Bildschirm kurz austauschen und auch mal einen Witz erzählen. Wenn der dann auch noch lustig ist, ist die Stimmung im Homeoffice auch gleich wieder besser.

6. MAN SPART SICH ZEIT. DER WEG INS BÜRO FÄLLT WEG

Kann man so unterschreiben. Der Weg vom Bett ins Bad zum Küchentisch ist definitiv kürzer als ins Büro. Aber ist das wirklich ein Vorteil? Brauchen wir nicht alle mal diesen Break, dieses Gefühl „Ok. Ich GEHE jetzt in die Arbeit“? Ist es nicht genau das, was uns in den vergangenen Monaten so krank gemacht hat? Abgesehen davon, ist für viele der Weg ins Office ja auch das täglich kalkulierte Sportprogramm. Man joggt zur U-Bahn oder fährt mit dem Fahrrad ins Büro. Selbst ein E-Roller ist für manche ein Fitnessgerät. Die gewonnene Zeit wird außerdem oft nicht für Freizeit oder Familie investiert, sondern letztendlich neigen wir dazu, im Homeoffice Überstunden zu machen. Abschalten Fehlanzeige. Auch hier gilt: Ein Plan mit festen Arbeitszeiten ist definitiv von Vorteil. Zudem hilft es, den beruflichen E-Mail Account nach Feierabend auszuschalten.

7. MAN WIRD NICHT SO OFT KRANK, WEIL MAN SICH NICHT BEI KOLLEGEN ANSTECKT

Ok, der Schnupfen fällt vielleicht weg. Die mentale Gesundheit wird uns aber sicherlich noch länger beschäftigen. Isolation und Vereinsamung sind nicht umsonst sehr traurige Effekte der Pandemie. Auch Bewegungsmangel und daraus resultierende Corona-Kilos sind nicht zu unterschätzen. Kranksein heißt ja nicht nur, mit Fieber im Bett zu liegen. Zudem muss man erwähnen, dass im Homeoffice deutlich öfter gearbeitet wird obwohl man krank ist. Anstatt sich wirklich auszuruhen, kann man den Laptop ja mit ins Bett nehmen und von dort aus etwas schaffen.

Oft ist eine Krankheit auch der konkrete Grund dafür im Homeoffice zu arbeiten. Anstatt sich krankschreiben zu lassen, möchten viele Arbeitnehmer*innen lieber von zu Hause aus arbeiten. Das kommt selbstverständlich auf den Schweregrad der Krankheit an. Positiv ist es sicherlich den etwas nervigen Schnupfen nicht ins Büro zu schleppen und die Kolleg*innen anzustecken. Wer dann aber zu hart im nehmen ist und fiebrig im Homeoffice sitzt, tut sich sicher auch nichts Gutes damit.

Fazit: Jeder Vorteil, kann auch ein Nachteil sein, wenn die Bedingungen im Homeoffice nicht an individuelle Situationen angepasst werden. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen und Arbeitgeber sich auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmer konzentrieren, kann Homeoffice definitiv eine Entlastung sein und ein nachhaltiges Zukunftsmodell der Arbeitswelt werden. Damit es für beide Seiten funktioniert, müssen die Voraussetzungen dafür besprochen, abgesteckt und umgesetzt werden. Jedes Unternehmen muss wissen, wie die Unternehmenskultur ist, welche Mitarbeiter*innen und deren Aufgaben Homeoffice geeignet sind und in welchem Rahmen eine vertragliche Regelung sinnvoll ist.